Gefährliche Geschwister
Die chemischen Verbindungen von Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) sind bekannt als Kohlenmonoxid (CO) und Kohlendioxid (CO₂). In Betrieben der Nahrungsmittelindustrie und des Gastgewerbes tauchen sie an unterschiedlichen Stellen auf. Obwohl sie von ihrem Gefahrenpotenzial eher als „ungleiche Geschwister“ anzusehen sind, können beide Stoffe für eine Reihe tödlicher Unfälle verantwortlich gemacht und somit sehr gefährlich werden.
Kohlenmonoxid (auch Kohlenstoffmonoxid bzw. CO) ist geruchlos und in etwa so schwer wie Luft. Der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) des Stoffs liegt derzeit bei 23 mg/m³ beziehungsweise 20 ppm, das entspricht einem Wert von nur 0,002 Volumenprozent. Dieser niedrige Wert zeigt schon, dass CO ein höchst gefährlicher Stoff ist. In höheren Konzentrationen führt er zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Bewusstlosigkeit und zum Tod.
Vorsicht bei der Lagerung von Holzpellets in Silos
Kohlenmonoxid tritt häufig bei unvollständigen Verbrennungsprozessen auf. Motorabgase, Räucherprozesse, Holzkohlegrills oder die glühenden Kohlen von Wasserpfeifen (Shishas) setzen CO in durchaus nennenswerter Menge frei. Weniger im Fokus standen dagegen bis vor Kurzem die selbstständig ablaufenden Ausgasungsvorgänge in mit Holzpellets befüllten Silos. Tatsächlich können aber bei der Autoxidation von eingelagerten Holzpellets ebenfalls gefahrdrohende Konzentrationen von CO entstehen. Als weitere gefährliche CO-Quellen kommen in diesem Zusammenhang unerkannte Rückströmungen von Brandgasen oder versteckte Glutnester im Pelletsilo infrage.
Im Abstand von wenigen Monaten wurde dies den Technikern zweier BGN-Mitgliedsbetriebe zum Verhängnis. Beide Betriebe hatten eine Pelletheizung, die seit Jahren gut funktionierte.
Im ersten Fall war eine Störung aufgetreten, im zweiten sollten kleinere Arbeiten im Silo durchgeführt werden. Die Techniker öffneten jeweils den Zugang zum Silo und stiegen ohne Verzug dort ein, die Gefährdung durch CO war ihnen wohl nicht bekannt. Innerhalb kürzester Zeit wurden sie bewusstlos. Die Versuche einer Rettung durch Arbeitskollegen, die in der Nähe waren, hätten beinahe noch zu einer größeren Zahl von verunglückten Beteiligten geführt. Glücklicherweise konnten sich die Retter noch rechtzeitig zurückziehen, bevor sie selbst auch ohnmächtig wurden. Erst die Feuerwehr barg – unter Verwendung von schwerem Atemschutz – die Verletzten aus dem Silo, die Wiederbelebungsversuche mussten aber letztlich erfolglos eingestellt werden.
CO₂ – das Risiko wird oft unterschätzt
Kohlendioxid (CO2) wird als Druckgas in Getränkeschankanlagen eingesetzt, außerdem in fester Form („Trockeneis“) zum Kühlen. Eine wichtige Rolle spielt es in der Getränkeindustrie, wo technisches CO2 einerseits zum Vorspannen und Leerdrücken von Behältern verwendet wird, zum anderen aber auch bei Gärungsprozessen in größeren Mengen entsteht. Kohlendioxid ist wie Kohlenmonoxid geruchlos, jedoch schwerer als Luft. Der AGW liegt bei 9.100 mg/m³ beziehungsweise 5.000 ppm (0,5 Volumenprozent). Das Gefährdungspotenzial von CO2 ist also erst einmal etwas geringer als das von CO. Aber auch bei Kohlendioxid kann es oberhalb einer Konzentration von vier Volumenprozent richtig gefährlich werden (stark erhöhter Puls, Schwindel, Atemnot), bei mehr als acht Volumenprozent CO2 besteht unmittelbare Lebensgefahr.
Obwohl in den einschlägigen Branchen grundsätzlich bekannt ist, dass CO2 nicht ungefährlich ist, wird das Risiko doch häufig noch unterschätzt. So auch von einem langjährigen Mitarbeiter einer Brauerei, der in einen mit Gärungskohlendioxid angereicherten Behälter einstieg, um einen dort hineingefallenen Gegenstand herauszuholen. Unten am Behälterboden verlor er sofort das Bewusstsein. Da für die Rettung des Verletzten keine geeigneten Hilfsmittel bereitstanden, musste auf das Eintreffen der Feuerwehr gewartet werden. Diese erschien nach circa 15 Minuten – zu spät für den Versicherten am Boden des Behälters, der nicht mehr reanimiert werden konnte.
Risiken für schwere Unfälle
Von den Betrieben werden diese Ereignisse als tragische Einzelfälle wahrgenommen. Für die BGN aber ist es die Verkettung von verschiedenen charakteristischen Umständen mit sicherheitswidrigen Verhaltensweisen, was unter bestimmten Bedingungen dann fast automatisch zu schweren und tödlichen Unfällen führt. In den Fällen der „gefährlichen Geschwister“ CO und CO₂ sind dies:
1. Es herrschen beengte räumliche Verhältnisse (z. B. im Inneren von Silos, Tanks, Behältern oder in unzureichend belüfteten Räumen unter Erdgleiche).
2. Für die auszuführenden Tätigkeiten liegt keine oder eine nur unzureichende Gefährdungsbeurteilung vor. Ebenso gibt es keine Arbeitsanweisungen, Erlaubnis- oder Freigabeprozeduren.
3. Die Tätigkeiten werden spontan und ungeplant begonnen.
4. Erforderliche Arbeits- und Hilfsmittel (z. B. Einrichtungen zum Belüften, Messgeräte, Rettungsmittel) sind nicht verfügbar oder werden nicht benutzt.
5. Das Risikobewusstsein fehlt (manch ein Beschäftigter glaubt anscheinend, er könne kurz die Luft anhalten, um „eben mal schnell“ einen Handgriff im Gefahrenbereich zu erledigen).
6. Für die Abläufe in Notfällen sind keine Regelungen und Vorkehrungen getroffen.
Wie lassen sich tödliche Unfälle vermeiden?
Die VISION ZERO ist die Vision einer Welt ohne Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen, wobei die Vermeidung tödlicher Unfälle und Berufskrankheiten besondere Priorität hat. Was ist nun zu tun, um im Sinne der VISION ZERO solche tödlichen Unfälle mit CO und CO2 künftig zu vermeiden?
Gefährdungsbeurteilung
Sofern nicht (z. B. durch Berechnungen) auszuschließen ist, dass in Arbeitsräumen gefährliche Konzentrationen von CO oder CO2 auftreten können, sind in der Gefährdungsbeurteilung geeignete Maßnahmen festzulegen. Das werden im Regelfall lüftungstechnische oder messtechnische Maßnahmen sein beziehungsweise eine Kombination daraus.
Freigabeverfahren festlegen
Arbeiten in Behältern, Silos oder engen Räumen sind grundsätzlich im Rahmen eines Freigabeverfahrens zu planen. Ein entsprechender Erlaubnisschein unterstützt Betriebe bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und gleichzeitig bei der ordnungsgemäßen Durchführung der Arbeiten vor Ort. Bewährt hat sich dabei die Orientierung an dem Mustererlaubnisschein nach DGUV Regel 113-004 damit auch sichergestellt ist, dass alle möglichen relevanten Gefährdungen betrachtet werden. Wenn aber immer wieder gleichartige Arbeiten ausgeführt werden, ist es auch möglich, die Vorgaben aus dem Erlaubnisverfahren in einer Betriebsanweisung zu dokumentieren und nach diesen Festlegungen zu arbeiten. Für das Befahren von Tanks und Behältern in der Getränkeindustrie wird dieses Vorgehen als „nachgewiesene sichere Verfahrensweise“ in Kapitel 5 der Arbeitssicherheitsinformation (ASI) 8.01 „CO₂ in der Getränkeindustrie“ beschrieben. Ausgangspunkt für die Festlegung einer „nachgewiesenen sicheren Verfahrensweise“ beim Einsteigen in Pelletsilos können die Empfehlungen sein, die in der vom Deutschen Pelletinstitut (DEPI) und dem Deutschen Energieholz- und Pellet-Verband (DEPV) herausgegebenen Broschüre „Lagerung von Holzpellets“ enthalten sind. Diese sind aber an die Verhältnisse vor Ort anzupassen, wobei auch die Informationen aus der Fachbereich AKTUELL FBHL-005 „Kohlenmonoxid bei Transport und Lagerung von Holzpellets im gewerblichen Gebrauch“ zu berücksichtigen sind.
Lüften
Damit Gefahren durch CO und CO2 sicher ausgeschlossen werden können, müssen diese aus den Behältern/Räumen zunächst durch Lüften sicher entfernt werden. Beim Lüften unterscheidet man zwischen natürlicher Lüftung, zum Beispiel durch belüftende Deckel oder Belüftungsöffnungen einerseits und technische Lüftungsmaßnahmen andererseits. Bei Letzteren werden die Schadgase mit Gebläsen, Ventilatoren oder Ähnlichem aus dem Behälter oder engen Raum herausgesaugt oder -geblasen. Es ist im Einzelfall zu klären, welche Lüftungsmaßnahmen jeweils erforderlich sind.
Fachkundige Freimessung
Die Wirksamkeit der Lüftung ist normalerweise durch eine fachkundige Freimessung zu überprüfen. Freimessen ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Wer freimisst, bestätigt damit, dass keine gefährlichen Gaskonzentrationen vorhanden sind. Fehler können tödlich enden. Daher ist es wichtig, dass Freimessende über die notwendige Fachkunde verfügen. Die Anforderungen an den Erwerb der Fachkunde sind im DGUV Grundsatz 313‑002 „Auswahl, Ausbildung und Beauftragung von Fachkundigen zum Freimessen“ beschrieben. Fachkunde bezieht sich dabei auf:
- die verwendeten Messgeräte und -verfahren
- die Eigenschaften der zu messenden Gase sowie
- die betrieblichen Verhältnisse und Arbeitsprozesse
Falls es im Betrieb keine geeignete fachkundige Person gibt und eine Ausbildung eigener Beschäftigter nicht sinnvoll ist, kann auch ein externer Dienstleister (z. B. eine akkreditierte Messstelle) entsprechende Messungen durchführen und bei der Erarbeitung einer nachgewiesenen sicheren Verfahrensweise unterstützen.
Niemanden allein einsteigen lassen
Ein weiterer wichtiger Aspekt beim Einsteigen in Behälter, Silos und andere enge Räume ist, dass die einsteigende Person nicht sich selbst überlassen wird, sondern ständig Sprech- oder Sichtkontakt mit einem Sicherungsposten besteht, der die Rettung mit geeigneten Mitteln, möglichst ohne Einstieg gewährleisten kann. Wenn nicht sichergestellt ist, dass eine ungefährliche Atmosphäre vorliegt, darf nur mit atemluftunabhängigem Atemschutz eingestiegen werden, wie ihn beispielsweise die Feuerwehr verwendet. Da das rechtzeitige Eintreffen der Feuerwehr bei akuter Vergiftungsgefahr oft nicht sichergestellt werden kann, ist ein betrieblicher Rettungsplan erforderlich. Bezüglich der Auswahl geeigneter Rettungsmittel ist eine fachkundige Beratung sinnvoll. Weitere Infos zum Thema Rettung bietet unsere Website BGN-Branchenwissen.
Atmosphäre im Silo überwachen
Beim Einsteigen in Holzpelletsilos wird dringend empfohlen, nach dem Freimessen (bzw. nach dem Lüften, wenn eine nachgewiesene sichere Verfahrensweise angewendet wird) die Atmosphäre im Behälter kontinuierlich mit einem mobilen Gasmessgerät zu überwachen. Wenn die CO-Konzentration dann unbemerkt wieder ansteigt, etwa aufgrund eines Glimmnests in der Pelletschüttung, durch Rückströmung von CO aus der Feuerung oder durch Überströmen aus einem benachbarten Bereich, kann das auf diese Weise festgestellt werden. Für diese kontinuierliche Überwachung mit mobilen Messgeräten ist keine Fachkunde erforderlich, sondern „nur“ eine angemessene theoretische und praktische Unterweisung. Wenn aber die bereits genannten Voraussetzungen zum sicheren Arbeiten und für eine wirksame Rettung nicht erfüllt sind, sollte man nicht blind darauf vertrauen, dass beim Einsteigen schon alles gut gehen wird. Es ist ratsam, stattdessen einen Fachbetrieb mit der Ausführung zu beauftragen, etwa den Errichter der Heizungsanlage oder eine Fachfirma, die sich mit Siloreinigung auskennt.
Die BGN unterstützt Betriebe der Getränkeindustrie bei der Ermittlung einer sicheren Arbeitsweise zum Einsteigen in Behälter mit dem Modellprojekt „Kohlendioxid – Exposition beim Leerdrücken von Lagertanks“.
Weitere Auskünfte erteilt Dr. Matthias Weigl.
- Mail: matthias.weigl@bgn.de
- Telefon: 0621 4456-3603
Mehr zum Thema: BGN Wissen kompakt „Behälter, Silos, enge Räume“